14. September 2022, Energiekrise
Wie stark steigen die Preise für Haushalte?
Wir sprechen dazu mit Jan Kohlmeyer, der über 10 Jahre in der Geschäftsleitung von Stadtwerken gearbeitet hat. Er kennt die Energiebörse und den Strom- und Gasmarkt. Heute leitet er die Stabsstelle Klimaschutz im Geschäftskreis des Oberbürgermeisters der Landeshauptstadt Stuttgart. Mit großer Sorge blickt er auf die hohen Preise für fossile Energien.
Herr Kohlmeyer, wo lagen denn die Strom- und Gaspreise bisher?
Ein Haushalt konnte bisher von rund 2.500 Euro pro Jahr ausgehen - für Strom und Gas zusammen. Das ist der Wert, der sich aus dem Branchenbericht der Energiewirtschaft für das Jahr 2021 ergibt. Dieser Bericht wurde zuletzt diesen Sommer aktualisiert.
Wir können es auch ganz genau anschauen: Für seinen Stromverbrauch zahlte ein Haushalt im Jahr 2021 im Durchschnitt 32,16 Cent pro Kilowattstunde. Bei einem typischen Jahresverbrauch von 3.500 Kilowattstunden ergeben sich Stromkosten von 1.126 Euro im Jahr. Beim Gas liegt der typische Verbrauch bei 20.000 Kilowattstunden. 2021 hat ein solcher Haushalt im Durchschnitt 7,06 Cent pro Kilowattstunde gezahlt, also 1.412 Euro Gaskosten. Für Strom und Gas zusammen kommen wir damit auf Kosten von 2.538 Euro.
Wieso können wir schon heute den Strompreis abschätzen, den Haushalte 2023 bezahlen müssen?
Ich erkläre Ihnen kurz, wie sich der Strompreis ergibt. Wie ein Obsthändler die Tomaten meist im Großhandel einkauft, macht das der Stromlieferant auch. Die Verträge am Großhandelsmarkt – der Strombörse – werden im Vorfeld geschlossen, zum Beispiel diesen Sommer. Anders als bei den Tomaten betrifft die Vereinbarung aber eine zukünftige Lieferung, zum Beispiel Strom für das Kalenderjahr 2023. Die Lieferanten haben also schon die Mengen zu festen Preisen gesichert, die sie nächstes Jahr ihren Kunden liefern. Das ist auch richtig so, denn Lieferanten wollen nicht ungedeckt in die Lieferverhältnisse gehen. Weil die Lieferanten den Strom für ihre Kunden also schon eingekauft haben, können wir auch die Preise gut abschätzen.
Und wie stark wird der Strompreis nun wohl ansteigen?
Betrachten wir den reinen Einkaufspreis für Grundlast-Strom an der Börse: Für den Lieferzeitraum 2023 lag er im Sommer rund 23 Cent pro Kilowattstunde höher als vor zwei Jahren. In dieser Größenordnung wird der Strompreis für die Haushalte also gegenüber 2021 ansteigen. Statt rund 32 Cent pro Kilowattstunde im Jahr 2021 werden wir für den Lieferzeitraum 2023 wohl ein Niveau von rund 55 Cent pro Kilowattstunde erleben. Zwar verändern sich auch weitere Preiskomponenten wie Kosten für den Netzbetrieb sowie hoheitliche Abgaben, Steuern und Umlagen. Diese werden aber den heftigen Anstieg kaum abfedern können.
Sind so hohe Preise denn wirklich zu befürchten?
Auf so hohe Preise müssen wir uns leider vorbereiten. Das zeigen auch Analysen aus Datenbanken, die aktuelle Gas- und Stromtarife verschiedener Anbieter enthalten. Diese Datenbanken zeigen für Kunden, die heute einen Vertrag abschließen, einen Preis von rund 55 Cent pro Kilowattstunde. Nehmen wir wieder einen typischen Haushalt mit 3.500 Kilowattstunden Verbrauch: Dieser wird 2023 Stromkosten von 1.925 Euro im Jahr haben, das wäre ein Anstieg von 70 Prozent gegenüber dem Jahr 2021.
Wenn schon der Strompreis so stark steigt, wie verhält es sich denn dann erst für den Gaspreis?
Da sieht es sogar noch schlimmer aus: erstens, weil die Preise stärker gestiegen sind, und zweitens, weil Haushalte mehr Gas als Strom verbrauchen. Aber der Reihe nach – diesen Sommer haben wir Börsenpreise für Gas erlebt, die in der Spitze auf bis zu 30 Cent pro Kilowattstunde für den Lieferzeitraum 2023 angestiegen sind. Selbst Lieferanten, die frühzeitig Gas eingekauft haben, müssen für 2023 einen Anstieg von vermutlich etwa 10 Cent pro Kilowattstunde berücksichtigen.
Hinzu kommen starke Steigerungen bei den Umlagen im Gasbereich, zum Beispiel wegen der neuen Gasbeschaffungsumlage. Die Bundesregierung will zwar die Mehrwertsteuer auf Erdgas absenken, aber die Preise werden in Summe stark ansteigen. Wir landen vermutlich bei rund 20 Cent bis maximal rund 40 Cent pro Kilowattstunde. Blicken wir auch hier auf die Analysen aus Datenbanken, die aktuelle Tarife verschiedener Anbieter enthalten: Diese Datenbanken zeigen für Kunden, die heute einen Vertrag abschließen, einen Preis von klar über 35 Cent pro Kilowattstunde. Das wären für 20.000 Kilowattstunden im Jahr Kosten von über 7.000 Euro nur für Erdgas.
Kann sich ein gewöhnlicher Haushalt das überhaupt noch leisten?
Ziehen wir den Vergleich: Im Jahr 2021 zahlte ein typischer Haushalt für Strom und Gas noch 2.538 Euro. Für das Jahr 2023 müssen sich Haushalte auf Preise von etwa 6.000 bis 9.000 Euro vorbereiten – sofern die derzeit volatilen Preise auf einem hohen Niveau verharren. Das ist dramatisch, Haushalte werden jeden Monat rund 250 Euro bis 500 Euro im Monat mehr zahlen als vor zwei Jahren. So teuer werden fossile Energien – für viele Haushalte nicht mehr bezahlbar. Kredite für das Haus oder das Auto abzubezahlen oder auch Kosten des täglichen Lebens – vom geplanten Urlaub ganz zu schweigen – werden viele Haushalte vor echte Probleme stellen. Das ist für viele Menschen eine wirklich bedrohliche Situation.
Was können Menschen denn tun, damit sie nicht in so eine Situation kommen?
Was jeder Mensch machen kann, ist die Situation wirklich ernst zu nehmen. Das heißt: Jetzt sofort jedes Sparpotenzial aufspüren. Es gibt so viele Tipps im Internet, auf den Seiten der Stadt Stuttgart, in Broschüren und Ratgebern aller Art. Wer mag, findet Videos, in denen gezeigt wird, wie Sie selbst Hand anlegen können: Thermostate selbst austauschen, neue Gummidichtungen an Fenstern anbringen und richtig Lüften. Vor allem auch beim Warmwasser, das ja häufig mit Gas erhitzt wird, bieten sich viele Sparpotenziale – von den Heizungseinstellungen, Stichwort eco-Betrieb, bis zum Duschkopf, der eben nicht nur wertvolles Wasser, sondern auch Heizenergie für das Warmwasser sparen kann. Ich rate allen Haushalten, unbedingt die nächsten Wochen zu nutzen: Kümmern Sie sich um diese sofortigen Sparpotenziale! So können Sie hoffentlich die schlimmsten Auswirkungen vermeiden.
Was macht denn die öffentliche Hand, um die Belastung zu dämpfen?
Zunächst seien dort die Entlastungen genannt, die von der Bundesregierung bereits entwickelt wurden. Weitere übergreifende Pakete – sei es von der EU, der Bundesregierung oder auch den Ländern – könnten die Belastungen der Haushalte ebenfalls reduzieren. Zudem bieten wir auf kommunaler Ebene viele Angebote rund um das Energiesparen, von Informations- und Beratungsangeboten über handfeste Zuschüsse und Förderprogramme für die Energiewende und energetische Sanierung.
Haben die Haushalte denn noch Zeit, sich auf die hohen Preise vorzubereiten?
Die Zeit wird knapp, denn deutschlandweit werden die Preiserhöhungen wohl Mitte November in den Briefkästen landen. Da müssen wir leider fest von ausgehen. In Stuttgart werden wir das sicher auch erleben, vielleicht früher, vielleicht etwas später. Aber die Belastung kommt sehr schnell. Wer noch Möglichkeiten hat, Energie zu sparen, sollte das also sofort tun.
Haben Sie noch eine Tipp zum Schluss?
Ja, einen Tipp habe ich noch zum Schluss: Hören Sie nach den Sofortmaßnahmen nicht auf. Blicken Sie zusätzlich auch weiter in die Zukunft: Gibt es für Sie Möglichkeiten, vom Gas wegzukommen? Eignet sich für Ihr Haus eine Wärmepumpe? Gibt es in der Nähe ein Wärmenetz, an das Sie sich anschließen können? Können Sie in professionelle Dämmung investieren und Ihr Gebäude energetisch sanieren? Eignet sich Ihr Dach für Photovoltaik? Wer 2023 in solche Maßnahmen investieren will, sollte wegen der langen Lieferzeiten noch dieses Jahr in die Planungen einsteigen.