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22. Januar 2024, Fokusthema Wohnen & Energie

Vorzeigebeispiel aus Holzmodulen:
Plus-Energie-Quartier in Bad Cannstatt

Bis Ende 2023 wurden alle 330 Personalwohnungen des Klinikums Stuttgart fertiggestellt. Das Plus-Energie-Quartier mit sechs Gebäuden ist eines der größten Holzmodul-Wohnprojekte Deutschlands – und völlig energieautark. Dahinter steckt die AH Aktivhaus GmbH, die gemeinsam mit dem Stuttgarter Architekten Prof. Dr. Werner Sobek das Leuchtturmprojekt für die Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft (SWSG) in Rekordzeit umsetzte.

Beim #jetztklimachen-Preis erhielt das Wohnprojekt, das mehr Energie aus regenerativen Quellen erzeugt, als es selbst benötigt, eine besondere Anerkennung. Im Interview liefert uns der Projektleiter Max Mannschreck spannende Hintergründe zur klimabedeutsamen Bauweise und den Herausforderungen an zukünftige Neubauten.

1) Das Plus-Energie-Quartier setzt Maßstäbe im bezahlbaren Wohnungsbau. Wie gehen Nachhaltigkeit und Bezahlbarkeit zusammen?

Max Mannschreck: Nachhaltig und zukunftsweisend zu bauen muss nicht teuer sein, sondern effektiv! Wir haben ein Holzmodul entwickelt, das den Materialaufwand drastisch reduziert und im Vergleich zu einem konventionell errichteten Gebäude 75 % an Materialmasse einspart. Dieses nicht benötigte Material muss nicht hergestellt, transportiert, montiert und letztendlich auch nicht bezahlt werden. Das spart Kosten. Das Gesamtgewicht der Holzgebäude konnte so auf ein Sechstel reduziert werden – die damit verbundene CO2-Reduktion ist beachtlich. Durch die sehr kurze Bauzeit werden ebenfalls Kosten gespart und die Vermietung kann früher beginnen.

Die Bezahlbarkeit hängt auch entscheidend von den Lebenszykluskosten und der Nutzung ab. Im Vorfeld des Projekts wurden verschiedene Energie- und Baustandards überprüft. Bei einem Plus-Energie-Gebäude sind die Investitionskosten zu Beginn höher, im Laufe der Nutzungsphase amortisieren sich diese Mehrkosten. Die Gebäude in Stuttgart Bad Cannstatt erzeugen im Jahresmittel mehr Energie aus regenerativen Energiequellen, als sie benötigen. Somit müssen sich die Bewohner*innen nie wieder um
steigende Energiekosten Sorgen machen. Die Holzmodule sind vollständig rückbaubar, können an einer anderen Stelle wieder aufgebaut und am Ende ihres Lebenszyklus sortenrein getrennt werden. Die verwendeten Materialien können zu 98 Prozent recycelt und dadurch in ihre biologischen bzw. technischen Kreisläufe zurückgeführt werden.

2) Welche Herausforderungen stellen sich dem zukünftigen Bauwesen in Bezug auf Neubauten?

Max Mannschreck: Das Bauschaffen steht für mehr als 50 Prozent des weltweiten Materialverbrauchs. Das Bauwesen ist zu einem großen Anteil für den weltweiten Ausstoß klimaschädlicher Gase und den Raubbau an Natur und Ressourcen verantwortlich. Die Art und Weise, wie in Zukunft gebaut wird, muss sich radikal ändern. Um eine Bauwende möglich zu machen, müssen alle zusammenarbeiten – Politik, Behörden, Planer und Baufirmen. Ein gemeinschaftliches Umdenken und eine Kultur des Möglich-Machens ist notwendig. Leider wird bei vielen Bauvorhaben der Neubau immer noch als die einzige Lösung angesehen. Ich plädiere dafür, bevor man vermeintlich alte Bausubstanzen abreißt und aufwendig als Sondermüll entsorgt, erstmal darüber nachzudenken, ob eine Sanierung mit weniger Ressourcenverbrauch wirtschaftlicher zu erreichen ist. Wenn ein Neubau erforderlich ist, sollte auch der gesamte Lebenszyklus, bis hin zur anschließenden sortenreinen Entsorgung, mitgedacht werden (zirkuläres Bauen). Es gibt zahlreiche Konzepte und Ideen, wie das Bauen nach dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft möglich ist. Bei zukunftsweisenden Projekten wird das auch schon umgesetzt. Flächendeckend scheitert es leider noch an der Umsetzung. Das Bauwesen ist eine sehr konservative Branche. Innovationen werden nur sehr langsam vorangebracht.

3) Welche Vision haben Sie von einer idealen Welt? Wie geht es in Zukunft weiter mit der bebauten Umwelt und der Menschheit?

Max Mannschreck: Schön wäre es, wenn jeder nicht nur an sich selbst denken würde. Was wir heute bauen, ist nicht nur für uns, sondern für die kommenden Generationen. Ich würde mich freuen, wenn wir uns alle dieser Verantwortung stellen und gemeinschaftlich für lebenswerte Räume und ein klimafreundliches Umfeld arbeiten würden. Ich würde mir wünschen, dass die wirtschaftlichen Interessen nicht über den humanitären und ökologischen Interessen stehen. Ich bin vor ein paar Monaten Vater geworden. Ich möchte, dass meine Tochter in einer bebauten Umwelt groß wird, die sich behutsam in die Natur einfügt. Die zukünftigen Baumaßnahmen dürfen die Natur nicht zerstören, sondern sollen in Einklang mit ihr stehen. Ich habe Architektur und Landschaftsarchitektur studieren dürfen. Das war mir wichtig, um die Bebauung und Natur zusammen zu betrachten. Bei jeder Bauaufgabe gibt es Synergiepotenziale. Diese dürfen wir ausloten und nutzen. Die gebaute Welt der Zukunft darf mehr auf dem Prinzip des Miteinanders beruhen. Es ist in Hinblick auf den Ressourcenverbrauch sinnvoller, Mehrfamilienhäuser zu bauen, Infrastrukturen gemeinschaftlich zu nutzen, Mobility Hubs zu entwickeln und gewonnenen Energie zusammen zu nutzen. So kann es gelingen, weniger Ressourcen zu verwenden, weniger Emissionen freizusetzen und das Müllaufkommen zu reduzieren. Das Plus-Energie-Quartier in Stuttgart zeigt, dass visionäre, zukunftsfähige Konzepte umgesetzt werden können, wenn die Bereitschaft aller da ist. Ich möchte mich an dieser Stelle nochmals bei allen bedanken, die es möglich gemacht haben, dieses Projekt zu einem Erfolg zu führen!

Neugierig geworden?

Im folgenden Video führt der Projektleiter Max Mannschreck durch das Stadtquartier und spricht über die Planung, zeigt die Holzmodule von innen und erklärt das autarke Energiekonzept.

 

Bildnachweis: Werner Sobek / Zooey Braun

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